Gothic Chess

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Gothic Chess ist eine in den USA patentierte Schachvariante, die trotz kommerziellen Charakters eine sehr treue und langsam wachsende Fangemeinde hat. Zunehmend wird das Spiel auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz beliebt. Der Unterschied zum klassischen Schach besteht hauptsächlich in einer Vergrößerung des Spielbrettes und der Zahl verschiedener Figuren mit einer ausgeklügelten (im Gegensatz zu einigen anderen Varianten konstanten) Startaufstellung.

Gotisches Schachbrett (nach vier Halbzügen, also je zwei Zügen)

Regelunterschiede zum klassischen Schach

  • Es wird auf 10x8 (Breite mal Höhe) Feldern gespielt.
  • Zusätzliche Figuren im Vergleich zum klassischen Schach:
    • Kanzler - darf sich wie Turm und Springer bewegen
    • Kardinal (auch Janus, Archbishop) - darf sich wie Springer und Läufer bewegen
  • bei der Rochade geht der König 3 Schritte in Richtung Turm
  • Schlagen en passant und Figurenverwandlung wurden vom klassischen Schach übernommen

Geschichte

Computermeisterschaft 2004

Entscheidender Vordenker des Spiels war José Raúl Capablanca, Schachweltmeister 1921-1927, der bereits die neuen Figuren Kanzler und Kardinal als Kombination bisher bekannter einführte. Sein Capablanca-Schachspiel (Endfassung um 1940) hatte jedoch einige Schwächen, die von Gothic Chess durch eine andere Startaufstellung ausgemerzt werden sollen. Vor allem sind nun die Bauern in der Startaufstellung besser verteidigt.

Auf Gothic Chess gibt es seit 2002 ein US-Patent, ein Weltpatent befindet sich in Anmeldung. Der Neuerfinder des Spiels, Ed Trice, der vor einigen Jahren den Schachcomputer Deep Blue schlagen konnte, ist 2004 immer noch weltstärkster Gothic-Chess-Spieler, obwohl sich dem Spiel zumindest zeitweise auch schon eine ganze Reihe von internationalen Schach-Großmeistern gewidmet haben. Inzwischen gibt es nicht unerhebliche digitale Literaturbestände beispielsweise für Eröffnungsbibliotheken. Für Anfänger ist Gothic Chess besonders geeignet, weil es grobe Positionierungsfehler in ihrem Einzelfall nicht so früh bestraft wie die klassischen Regeln.

Partieverlauf, Strategie, Figurenwert und Kombinationen

Schon die seit über 300 Jahren populärste Form des Schachspiels mit Jahrtausende alter Tradition ist auf absehbare Zeit auch von den weltbesten Hochleistungscomputern in ihrer vollen Tiefe nicht annähernd erfaßbar. Dennoch befindet sich das klassische Schach in einer Krise. Ein Grossteil der Partien folgt bekannten und längst analysierten Mustern und Computer schlagen inzwischen selbst Weltmeister.

Gothic Chess bietet noch viel mehr theoretische Möglichkeiten. In der Praxis führt dies nicht zu längeren, aber zu subjektiv abwechslungsreicheren Partien und zu einer merklich größeren Möglichkeitenvielfalt bezüglich der strategischen Vision. Dem nicht widersprechend werden Partien taktischer geprägt (vgl. Taktik und Strategie unter Schach), denn es gibt mehr Figuren die drohen. Gothic Chess belohnt materielle Opfer und risikofreudige Königsangriffe öfter, zum Beispiel weil man nach Verlust der Dame immer noch eine starke Turmlinie besitzen kann oder der Archbishop wie ein Läufer wirkt, der die Feldfarbe, auf der er sich bewegt, wechseln kann. Im frühen Anfangsstadium einer Partie steht der König insbesondere bei offensivster Eröffnung entschieden sicherer als beim klassischen Schach.

Noch stärker als beim klassischen Schach, wie es seit 1700 ganz überwiegend gespielt wird, variieren die Figurenwerte je nach Spielphase und Stellung erheblich. Trotzdem kann man sich als Anhaltspunkt an folgenden Werten orientieren, die aus einer Reihe von Parametern und deren Gewichtung theoretisch abgeleitet und einem vernünftigen Abtauschverhalten angelehnt gerundet wurden. In Klammern zum Vergleich der Wert auf acht mal acht Feldern: Bauer 1.00 (1.00), Springer 2,5 (3,0), Läufer 3 (3.25), Turm 4,75 (5,0), Kardinal 6.5 (nicht vorhanden), Kanzler 8,25 (nicht vorhanden), Dame 8,75 (9,00). Die höheren Ansprüche an die kurzfristige Taktik können für Anfänger zum Problem werden, sie sind aber durchaus für die allermeisten Spieler recht gut meisterbar. Gerade im vielfältigen Zusammenspiel verschiedener Figuren ergeben sich immer wieder ganz neue Szenerien. Der frühe Abtausch der Dame führt nicht zu einer höheren Remisequote unter ähnlich starken Spielern.

Lehren aus Weltmeisterschaften

Die Meisterschaften finden ohne besondere Medienaufmerksamkeit, zumindest außerhalb der international vielschichtigen Schachszene, aus Organisationsgründen noch untypischerwise online, statt, aber dafür mit vielen qualifizierten Teilnehmern. Es wird nach Schweizer System gespielt, das heißt die Schwächsten spielen am wahrscheinlichsten gegen die Schwächsten. Die Preisgeldentwicklung ist exorbitant auf niedrigem Nivau, 2004 ging es um 17.000 Dollar. Üblich dabei sind auch positive Äußerungen über Gothic Chess, während die selben Personen andere Varianten als nachteilig und nicht wirklich königlich betiteln. Dabei fallen unter denen, die das Spiel loben wollen, besonders oft Worte wie "balanced sides", dynamische Linien, offensiv, Überraschung, verteidigte Bauern, hohe Mobilität (der Figuren), Gegner-Konfusion, Schwarzquote (Gewinnquote), Teamwork (von Figuren, die in neuen Varianten zusammenarbeiten können und deren aktueller Materialwert nicht eindeutig zu bestimmen ist), sowie Opfer (von Figuren zugunsten eines Aktivierungsvorteils).

Endspiel

Es gibt eine von einem Computer gefundene spezielle Stellung mit König, Dame und Bauer gegen König und Dame, in der das erzwungene Matt 268 Züge dauert. In der Praxis ergeben sich solche Extremstellungen so gut wie nie, man sollte sie aber kennen. Es gilt die 50-Züge-Regel aus dem klassischen Schach. Das wahrscheinlich allerschwierigste Endspielmatt ist das von König und Kardinal gegen König, Läufer und Springer. Unter praktisch kaum anzutreffenden Randbedingungen können zwei Springer matt setzen. Es dauert je nach Stellung etwas weniger als 30 Züge, mit König und Dame König und Kanzler zu bezwingen.

80 Bit Gothic Chess Computer 2004

Die 30-Tage-Version 1.0.3 des Gothic Chess Programms "Gothic Vortex" spielt schon auf sehr hohem Niveau. Version 1.2, Shareware, bietet unter anderem mehr Spielniveaulevels, nun auch von Neulinge schlagbare, und ein besseres Design. Weitere Versionen zu verschiedenen Preisen sind angekündigt. Da allerdings das gotische Schachspiel auf höherem Niveau zum Beispiel oft von frühen Materialopfern geprägt ist, die eine Position zerstören sollen, und deren Sinn sich Computern mit noch so großer Rechenleitung meist nicht erschließen, sind die stärksten Spieler in der Lage das Progamm auch über einen ganzen Partieverlauf hinweg mit natürlicher menschlicher Intelligenz zu überrumpeln. Normale Spieler stehen aber umso mehr vor einer unlösbaen Aufgabe, da Schachcomputer allgemein schon im klassischen Schach als "Taktikmonster" gelten, und diesbezüglich jedem Menschen unter normalen Bedingungen, besonders aber bei Zeitbegrenzung, überlegen sind.

Zu erwartende Entwicklungen

Erfahrene Schachspieler sind nach etwa einer Woche täglichem Spiel mit den neuen Figuren und ihren Möglichkeiten mehr oder weniger vertraut. Wer Gothic Schach erlernen will, kommt, was das reine Regelwerk angeht, an klassischem Schach nicht vorbei und wird schon wegen dessen Verbreitung und Tradition immer wieder darauf zurückgreifen.

Andererseits wird bisher keiner anderen Schachvariante von ihren Anhängern so ein Alleinstellungscharakter und eine Intuitivität bescheinigt. Die Kommerzialisierung ist weniger eine materiell für die meisten schwer zu überwindende als eine "ideologisch-philosophische" Barriere, verschafft bisher aber wiederum einmalig in der Wahrnehmung besondere Aufmerksamkeit.

Gothic Chess, dessen Patent 2022 auslaufen wird, steht in Wettbewerb um Popularität besonders mit dem Vorläufer Capablanca Chess und Janus Chess, weniger mit noch tieferen Spielen wie Unicorn Chess, die sich bereits als unfassbar komplex ohne populären Mehrwert erwiesen haben. Gothic Chess ist eine von etwa 30 stärker wahrgenommenen Schachvarianten (sogenannte recognized variants) unter Hunderten. In einer Zeit, in der der weltbeste menschliche Spieler langsam aber sicher des öfteren gegen die besten Schachcomputer verliert, könnte Gothic Chess etwas an Bedeutung gewinnen, auch weil es für normal starke Spieler recht gut noch einfach zu beobachten ist.

Siehe auch: Schachprogramm ChessV

Weblinks