Andor Lilienthal

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Andor Lilienthal (auch russisch: Андрэ (Андрей) Арнольдович Лилиенталь. wiss. Transliteration: Andrė (Andrej) Arnol'dovič Liliental, auch französisch: André Lilienthal; * 5. Mai 1911 in Moskau) ist ein ungarischer Schachmeister, der zwischenzeitlich sowjetischer Staatsbürger war. Er ist der älteste lebende Großmeister.

Lilienthals Mutter war eine ungarische Sängerin, die seit 1909 an der Bühne in Moskau engagiert war. Sein Vater war ein ungarischer Elektroingenieur. Lilienthal kam als drittes Kind der Familie zur Welt. Seit Bruder wurde noch 1907 in Budapest geboren, seine Schwester 1909 schon in Moskau. Im Dezember 1913 kehrte die Mutter mit den Kindern nach Budapest zurück, der Vater blieb in Russland und gelangte nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Gefangenschaft. Die materiell sehr schwere Zeit während und nach dem Krieg musste Lilienthal in einem Kinderheim zubringen, da die Mutter krankheitsbedingt ihre Stimme verlor und, mittellos geworden, ihre Kinder in staatliche Pflege gab. Dort erlernte der Junge den Schneiderberuf.

Als 15-jähriger ausgebildeter Schneider, der keine Beschäftigung fand, erlernte Lilienthal Schach. Bald darauf verbrachte er seine gesamte Zeit in den Budapester Cafés, wo er um Geldeinsätze spielen konnte. Im Jahre 1929 fuhr er nach Wien um seinen Vater dort zu besuchen und versäumte auch nicht, die dortigen Schachcafés aufzusuchen, wo er das erste Mal Ex-Weltmeister José Raúl Capablanca traf, der eine Simultanvorstellung gab. Lilienthal erreichte gegen ihn ein Remis. Ansonsten gelang es ihm, soviel Geld in den Cafés einzunehmen, dass er eine Reise nach Berlin finanzieren konnte. Auch in Berlin verbrachte er viel Zeit in den dortigen Cafés und machte sich einen Namen als starker Spieler. Seine nächste Station wurde 1930 Paris. Seinen guten Ergebnisse in den dortigen Schachcafés folgte eine Einladung zu seinem ersten internationalen Turnier, ausgetragen in Paris. Lilienthal erreichte 4 aus 7 und teilte sich Platz 4 und 5.

In den nun folgenden Jahren nahm er an einer Reihe von bedeutenden Turnieren teil. Seine Ergebnisse waren stets überdurchschnittlich. Er spielte für Ungarn an drei Schacholympiaden: 1933 in Folkestone (10 aus 13), 1935 in Warschau (15 aus 19) und 1937 in Stockholm (12 aus 17). Während des Moskauer Turniers von 1935 lernte er eine Russin namens Jewgeniia kennen, die bald darauf seine Gattin wurde. Das Ehepaar wohnte seitdem in Moskau, Lilienthal erhielt die sowjetische Staatsbürgerschaft. Erst 1976, nach dem Tode seiner Frau, kehrte Lilienthal nach Budapest zurück. Lilienthal heiratete noch zweimal, zunächst die Russin Ludmilla und 1987 die Russin Olga.

Seit 1937 nahm er an den Meisterschaften der UdSSR teil. 1938 wurde er (außer Konkurrenz) Meister Weißrusslands. 1940 gewann er die Meisterschaft Moskaus, bei der UdSSR-Meisterschaft 1940 teilte er sich den ersten Platz. Lilienthals beste Zeit waren die 30er und 40er Jahre. In einer aufsehenerregenden Partie schlug er Capablanca zur Jahreswende 1934/1935 in Hastings. Der Zweite Weltkrieg verhinderte auch bei ihm eine vollständige Ausschöpfung seines enormen Schachpotenzials. In den 50er Jahren begann er eine Trainerlaufbahn und wurde unter anderem zum Trainer des späteren Weltmeisters Tigran Petrosjan.

Heute (2005) ist Lilienthal wohl der letzte noch lebende Mensch, der Turnierpartien gegen die Vorkriegsweltmeister Emanuel Lasker, José Raúl Capablanca und Alexander Aljechin austrug. Seine lebhafte Erinnerung an Lasker, der in den 30er Jahren in Moskau im Exil war und von Lilienthal betreut wurde, trug er 2001 aus Anlaß des ersten Kongresses der Emanuel-Lasker-Gesellschaft in Berlin mit Charme und Geistesfrische vor.

Literatur

A. Lilienthal: Schach war mein Leben (Ungarischer Originaltitel: Életem, a sakk, übersetzt von Árpád Földeák). Verlag Harry Deutsch, Frankfurt a.M. 1988. ISBN 3-8171-1048-0

Weblinks